Problemfeld (12) – Armut und demografische Fehlentwicklungen

Eine eigene Existenzsicherung, durch eine erfolgreiche Selbstständigkeit oder ein Beschäftigungs-verhältnis mit akzeptabler Arbeitsqualität für jeden Menschen im erwerbsfähigen Alter, ist eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele einer nachhaltigen Wirtschaft. Die Entwicklungen in diesem Problemfeld stellen wir anhand der Indikatoren Erwerbslosigkeit, Arbeitsqualität, Arbeitseinkommen und Kinderarbeit dar.

Armut

Von absoluter Armut sind nach Definition der Vereinten Nationen die Menschen betroffen, die über weniger als die lokale Kaufkraft von 1,90 USD pro Tag verfügen. Eine solch extreme Armut geht mit einer massiven Einschränkung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen und dem Zugang zu Lebenschancen einher. Der Anteil der absolut Armen an der Weltbevölkerung ist von 16 % (2010) auf 8 % (2019) gesunken (UN 2020: 6). Mit Ausbruch der Covid-19-Pandemie ist die Armutsquote erstmals seit einer Generation wieder gestiegen, und zwar von 8,4 % (2019) auf 9,5 % (2020). Dies hat die Fortschritte seit 2016 zunichtegemacht. Nach aktuellen Prognosen, werden uns die Auswirkungen der Pandemie länger begleiten und es wird erwartet dass die Armutsquote 2030 bei 7 % liegen wird (UN 2021: 26).

In den Industriegesellschaften spricht man von relativer Armut – einer Unterversorgung an materiellen und immateriellen Gütern und eine Beschränkung der Lebenschancen im Vergleich zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft. Als armutsgefährdet gelten dabei z.B. in der EU die Menschen, die weniger als 60 % des Medians des Äquivalenzeinkommens ihres Landes zur Verfügung haben (das Äquivalenz¬einkommen berücksichtigt die Haushaltsgröße). In der EU 27 ist der Anteil an von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen seit 2012 (24,9 %) kontinuierlich gesunken 20,9 % (2019). Durch die Covid 19 Pandemie war im Jahr 2020 ein Anstieg auf 22,0 % zu verzeichnen. In Deutschland war der Anteil seit 2014 (20,6 %) auf 17,4 % (2019) gesunken und stieg 2020 durch die Auswirkungen der Pandemie auf 24,0 %. Deutschland verzeichnet damit in der EU 27 den höchsten Anstieg von 6,6 Prozentpunkten, während Portugal im gleichen Zeitraum (2019-2020) einen Rückgang von 1,8 Prozentpunkten vorweist (Eurostat 2022: SDG_01_10).

Als Graphik hier verfügbar:

SDG 01_10 Armutsindikator

Und als Datensatz hier:
https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_01_10/default/table?lang=de

Um die Folgen von Armut zu verringern, existieren in mehreren Ländern Sozialsysteme. Aber immer noch verfügen 55 % der Weltbevölkerung über keinerlei Sozialschutz. Nur 22 % der arbeitslosen Weltbevölkerung erhalten ein Arbeitslosengeld und 28 % der Schwerbehinderten eine Invalidenrente.(UN 2020: 25).

Bewertung

Durch die Covid-19-Pandemie wurden im Jahr 2020 zusätzlich bis zu 124 Mio. Menschen weltweit in extreme Armut gedrängt, davon 60 % der in Südostasien lebenden Bevölkerung. Für das Jahr 2030 wird eine weltweite Armutsquote von 7 % prognostiziert (UN 2021: 8, 26). So wurden während der Covid 19 Pandemie (Februar-Dezember 2020) in 209 Ländern mehr als 1.600 neue Sozialschutz-maßnahmen erlassen, 94,7 % sind jedoch kurzfristiger Art (UN 2021: 27).

Darüber hinaus verteilten sich die Sozialschutzleistungen auf 85,4 % der Bevölkerung der Hocheinkommensländer, in Ländern mit niedrigen Einkommen erreichten die Schutzleistungen nur 13,4 % der Menschen. Diese Situation vergrößert die Deckungslücke für Niedrigeinkommensländer und die soziale Ungerechtigkeit. Das globale Ziel, die Armutsquote bis 2030 auf 0 % (Destatis: Ziel 1 – Keine Armut Unterziel 1.1) zu senken, wird somit bis zum Jahr 2030 (voraussichtlich) nicht erreicht (UN 2021: 26-27).

Unter Fehl-und Mangelernährung leidende Menschen

Der prozentuale Anteil von Unterernährung liegt seit 2015 weltweit fast unverändert bei knapp unter 11 %. Die Gesamtzahl hat sich, aufgrund des Bevölkerungswachstums jedoch auf 820 Mio. Menschen (2018) erhöht (UN 2020: 26). Ernährungssicherheit ist ein weiterer Indikator, dieser stieg von 23,2 % (2014) auf 26,4 % (2018). Dieser Anstieg ist hauptsächlich auf eine Verschlechterung in der Sub-Sahara und in Lateinamerika zurückzuführen. Die Covid-19 Pandemie verschärft diese Situation zusätzlich. Durch die pandemische Gesamtsituation hat sich die Fehlernährung bei Kindern verstärkt. 22 % der Kinder unter 5 Jahren leiden unter Wachstumshemmung aufgrund von Fehlernährung. Unter Auszehrung, einer weiteren lebensbedrohlichen Form der Fehlernährung, waren 2020 ca. 15 % mehr Kinder betroffen als prognostiziert (UN 2021: 9, 28-29).

Ein Schlüsselfaktor bei der Erreichung des SDG 2 – Kein Hunger sind eine nachhaltige und belastbare Nahrungsmittelproduktion, dies beinhaltet eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern (Destatis: Ziel 2 – Kein Hunger). Ein Indikator ist hier die staatliche Unterstützung der Forschung und Entwicklung im Bereich Landwirtschaft. In der EU 27 ist diese staatliche Unterstützung für landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung von 5,6 €/pro Einwohner*in (2012) auf 7,2 €/pro Einwohner*in (2020) gestiegen, dies entspricht der Gesamtsumme von 3,2 Mrd. €. In Deutschland stieg dieser Beitrag im gleichen Zeitraum von 5,6 €/pro Einwohner*in auf 7,2 €/pro Einwohner*in bzw. auf die Gesamtsumme von 1,0 Mrd. € (Eurostat: SDG_02_30).

Als Graphik hier verfügbar:

SDG 02_30 Staatlich Förderung in landwirtschaftliche F & E

Und als Datensatz hier:
https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_02_30/default/table?lang=de

Bewertung

Die Covid-19-Pandemie verschärft durch Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung, Verknappung von Nährstoffreichen Nahrungsmitteln, durch Einkommensausfälle sowie Preissteigerungen die Ernährungssicherheit gravierend. Im Vergleich zum Vorjahr litten 2020 bis zu 161 Mio. Menschen mehr unter Hunger (UN 2021: 28). Die weltweite Situation hat sich 2020 somit verschlechtert und es ist der dringende Einsatz von gezielten Maßnahmen nötig, um Ernährungssicherheit zu erreichen. Zusätzlich könnte der Krieg in der Ukraine eine Nahrungsmittelkrise in afrikanischen Ländern auslösen, da fast ein Drittel der Weizen-Exporte aus der Ukraine oder Russland stammen (Fröndhoff und Terpitz 2022).

Bevölkerungsentwicklung

Unter dem demografischen Wandel werden die Bevölkerungsentwicklung und die hieraus resultierende Veränderung der Alterspyramide verstanden.

Im Jahr 2020 lebten ca. 7,794 Mrd. Menschen auf der Erde. Die Wachstumsrate beträgt 0,98 % – das entspricht einer jährlichen Bevölkerungszunahme von ca. 76 Mio. Menschen (UN 2019b: Standard Projections – Population Data – Total Population). Bis 2030 wird die Weltbevölkerung voraussichtlich auf 8,592 Mrd. Menschen ansteigen, bis 2050 auf 10,1 Mrd., unter der Annahme, dass die Wachstumsrate konstant bleibt (UN 2019a: Standard Projections – Population Data – Total Population). Aktuell (2020) liegt die Prognose für 2100 bei 10,875 Mrd. Menschen (UN 2019: Probabilistic Projections – Population indicators – Total Population). Diese erhöht die Nachfrage nach natürlichen Ressourcen und verschärft das Problem der Befriedigung von Grundbedürfnissen.

Bewertung

Durch die wachsende Weltbevölkerung wird mit dem ressourcenintensiven Produktions- und Konsummuster derzeitiger Lebensstandards (in den hoch entwickelten Ländern) und deren Übernahme der Bevölkerung in Schwellenländern werden die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde kontinuierlich überschritten. Es besteht die große Herausforderung, die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung mit der Konsumnachfrage einer ständig wachsenden Bevölkerung zu vereinbaren, das geht nur durch einen Transformationsprozess zum nachhaltigen Wirtschaften, indem alle Produkte und Produktionsprozesse nach den Kriterien des nachhaltigen Wirtschaftens neugestaltet werden (z.B. Substitution der atomaren und fossilen Energien durch erneuerbare). Da ist u.a. ein radikales Ändern bekannter Produktionsmuster und gängiger Konsumgewohnheiten dringend erforderlich (BiB 2021: 12-13, 60). Neben diesen Änderungen stellt sich auch die Frage wie das Bevölkerungswachstum verlangsamt – bzw. langfristig Stabilisiert – werden kann. Hier zeigt die Steigerung von Bildungs¬investitionen für junge Frauen erhebliche Erfolge, wobei die genauen Zusammenhänge (Kausalität und Korrelation) noch untersucht werden (Elina Pradhan 2015).

Urbanisierung

Unter Urbanisierung ist zum einen eine Verstädterung im physischen Sinne, d.h. eine Vermehrung, Ausdehnung oder Vergrößerung von Städten nach Zahl, Fläche oder Einwohnern zu verstehen. Aber auch die Ausbreitung städtischer Lebens-, Verhaltens- und Wirtschaftsweisen wird als Urbanisierung bezeichnet. 2018 lebten bereits 55 % der Weltbevölkerung in Städten, bis 2050 wird ihr Anteil auf bis zu 68 % steigen (UN 2018a). Allerdings gibt es signifikante regionale Unterschiede in Bezug auf den Verstädterungsgrad. So wird der Anteil der Stadtbevölkerung in höher entwickelten Regionen (Europa, Nord Amerika, Australien/Neuseeland und Japan) zwischen 2015 und 2050 von 78 auf 86 % steigen und in den weniger entwickelten Regionen im selben Zeitraum von 49 auf 66 %. Wobei in Afrika und Asien eine schnellere Urbanisierung stattfindet als in anderen Regionen. Insgesamt werden 2050 2,3 Mrd. Menschen mehr in Städten leben als 2020, das entspricht in etwa der bis dahin erwarteten Bevölkerungszunahme. 88 % dieses Anstiegs werden sich auf Asien und Afrika konzentrieren.

Die Landbevölkerung weltweit wird voraussichtlich von 2020 3,4 Mrd. Menschen auf 3,1 Mrd. in 2050 sinken (UN 2018b). Ein weiteres Phänomen, das mit der Urbanisierung einhergeht ist die wachsende Zahl der sogenannten „Megacitys“, Städte mit mehr als 10 Mio. Einwohner:innen. Während Tokyo und New York im Jahr 1970 noch die einzigen Megastädte waren, ist ihre Zahl bis 2018 auf 33 angestiegen, in denen 6,9 % der Weltbevölkerung lebt. 27 Megacitys liegen im globalen Süden, sechs alleine in China (+3 bis 2030). In Indien gibt es 5 Megastädte und bis 2030 werden zwei Städte in den Status Megacity hineinwachsen, sodass weltweit im Jahr 2030 43 Megastädte, mit 8,8 der Welt¬bevölkerung, zu erwarten sind (United Nations Department of Economic and Social Affairs 2018). Unter diesen Bedingungen ist klar, dass es ohne eine nachhaltige Stadtentwicklung überhaupt keine nachhaltige Entwicklung geben kann.

Bewertung

Der Anteil der Stadtbevölkerung, der in Slums lebt, lag 2018 weltweit bei 24 %. Besonders betroffen sind Afrika und Asien. Durch die Covid-19-Pandemie hat sich die Lebenssituation für die Menschen in städtischen Slums weiter verschlechtert, sowie die Anzahl der Menschen zugenommen, die in Slums leben. Darüber hinaus hat die Pandemie den Zugang zur Infrastruktur (öffentliche Verkehrsmittel) durch Teilstillegungen, Kapazitätsbegrenzungen oder Stilllegung von Netzen eingeschränkt. Zudem erfordert die Pandemie bzw. Gesundheitsrisiken eine Umstrukturierung urbaner Räume, um einerseits Freiflächen und Erholungsgebiete zu schaffen, andererseits angemessene Straßen, um eine nicht motorisierte Fortbewegung zu fördern, um überfüllte öffentliche Verkehrsmittel zu entlasten. Um Städte und Siedlungen widerstandsfähiger und nachhaltiger zu gestalten, müssen in Zukunft die Auswirkungen möglicher Pandemien mitgedacht werden (UN 2021: 49).

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Literatur

Destatis – Statistisches Bundesamt: Ziel 1 – Keine Armut. Ziel 1 – Deutschlands Indikatoren der UN Sustainable Development Goals. URL: https://sdg-indikatoren.de/1/ (gesehen am: 16.03.2022).

Destatis – Statistisches Bundesamt: Ziel 2 – Kein Hunger. Ziel 2 – Deutschlands Indikatoren der UN Sustainable Development Goals. URL: https://sdg-indikatoren.de/2/ (gesehen am: 16.03.2022).

Elina Pradhan (2015): Female Education and Childbearing: A Closer Look at the Data. URL: https://blogs.worldbank.org/health/female-education-and-childbearing-closer-look-data (gesehen am: 25.04.2022).

Eurostat – statistisches Amt der Europäischen Union (2022): SDG_01_10. SDG_01_10 – Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Personen. URL: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_01_10/default/table?lang=de (gesehen am: 03.04.2022).

Eurostat – statistisches Amt der Europäischen Union: SDG_02_30. SDG_02_30 – Staatliche Unterstützung der Forschung und Entwicklung im Bereich Landwirtschaft. URL: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_02_30/default/table?lang=de (gesehen am: 03.04.2022).

Fröndhoff, B.; Terpitz, K. (2022): Ukraine-Krieg treibt die Lebensmittelpreise – Knappe Reserven. Handelsblatt.

UN – United Nations (2021): The Sustainable Development Goals Report 2022.

UN – United Nations (2020): The Sustainable Development Goals Report 2020.

UN – United Nations (2019): Probabilistic Projections – Population indicators – Total Population. World Population Prospects 2019. URL: https://population.un.org/wpp/Download/Files/2_Indicators%20(Probabilistic%20Projections)/UN_PPP2019_Output_PopTot.xlsx (gesehen am: 29.11.2020).

UN – United Nations (2019a): Standard Projections – Population Data – Total Population. World Population Prospects 2019. URL: https://population.un.org/wpp/Download/Files/1_Indicators%20(Standard)/EXCEL_FILES/1_Population/WPP2019_POP_F01_1_TOTAL_POPULATION_BOTH_SEXES.xlsx.

UN – United Nations (2019b): Standard Projections – Population Data – Total Population. World Population Prospects 2019. Average annual rate of population change (percentage). URL: https://population.un.org/wpp/Download/Files/2_Indicators%20(Probabilistic%20Projections)/UN_PPP2019_Output_PopGrowthRate.xlsx.

UN – United Nations (2018b): World Urbanization Prospects 2018 – Urban and Rural Populations, Urban Population at Mid-Year by region, subregion and country, 1950-2050 (thousands). URL: https://population.un.org/wup/Download/Files/WUP2018-F03-Urban_Population.xls (gesehen am: 29.11.2020).