Problemfeld (15) – Technische Risiken

In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine große Reihe von Techniken entwickelt, die wirtschaftliche Chancen bieten, aber teilweise auch mit erheblichen Risiken verbunden sind. Deshalb wird heute in vielen Ländern der Einsatz von Techniken kritisch diskutiert und reflektiert. Die öffentliche Wahrnehmung von Risiken kann dabei für die Akzeptanz von Technologien genauso wichtig sein wie eine wissenschaftliche Risikobewertung.

Atomkraft

Der Einsatz der Kernenergie ist vergleichsweise zu anderen Formen der Energiegewinnung jung, wobei die militärische Nutzung der zivilen Nutzung vorausging. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde die Kernenergiegewinnung durch kontrollierte Kernspaltung kommerziell nutzbar. Nach Versuchsatomkraftwerken in den 1950er Jahren kam es in den 1970er Jahren zu einem Ausbau der Kernenergie. Seit der Jahrtausendwende wurden die ersten nationalen Ausstiegsbeschlüsse getroffen und in der Folge Atomkraftwerke stillgelegt. Ende 2019 waren nach Angaben der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in 30 Staaten 443 Atomkraftwerke mit ca. 392 GW in Betrieb, sie decken nach dem Bundeswirtschaftsministerium ca. 2,2 % des weltweiten Endenergiebedarfs (BMWi 2021: 69). Seit Ende 2018 wurden 13 Reaktoren mit insg. 10,2 GW stillgelegt, wobei sich 5,5 GW allein aus fünf Reaktoren die in Japan, nach dem sie seit 2011 keinen Strom mehr produzierten, ergaben (IAEA 2021). Der nur noch sehr langsame Ausbau (2011 und 2012 kam es sogar zu einem Rückgang) der Atomtechnologie hängt zusammen mit der Reaktorkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi 2011. Zwar hatte die Atomkraft schon nach den Reaktorunfällen in Harrisburg (1979) und Tschernobyl (1986) in vielen Ländern ihre Akzeptanz verloren – Italien stieg in der Folge bereits aus der Atomkraft aus. Zu mehreren Atomausstiegen (z.B. Deutschland, Schweiz und Belgien, Taiwan, Südkorea und jüngst Spanien) kam es aber erst nach Fukushima. Neben dem gesellschaftlichen Akzeptanzproblem relativierten auch ökonomische und technische Parameter die Euphorie und den Ausbau von Atomkraft (u.a. Anhebung der Sicherheitsstandards, keine funktionsfähige nukleare Kreislaufwirtschaft und Endlagerproblematik radioaktiver Abfälle). Müssten die Kernkraftbetreiber das volle Haftungsrisiko für ihre Anlagen tragen (allein in Deutschland würden die Haftungspolicen für die 17 Atomkraftwerke jährlich etwa 332 Mrd. € betragen), wäre laut Berechnungen der Versicherungsforen Leipzig GmbH im Auftrag des Bundesverbandes Erneuerbare Energien Atomstrom mit etwa 2,36 €/kWh netto die teuerste Art in Deutschland Strom zu erzeugen (Versicherungsforen Leipzig GmbH 2011). Ohne die Haftungsfreistellung und hohen staatlichen Subventionen würde diese Technik also nicht eingesetzt werden (die deutsche Bundesförderung betrug zwischen 1974 und 2007 24 Mrd. €, Berié et al. 2010). Trotz der erheblichen Risiken erlebt die Atomenergie derzeit möglicherweise eine Renaissance. Insgesamt befanden sich Ende 2019 weltweit 54 Atomkraftwerke in 19 Ländern im Bau (IAEA 2021).

Der Bewertung vorweggreifend, und die Argumentationskette umdrehend, wird der steigende Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendendenergiebedarf hier als Graphik wiedergegeben da die im Umkehrschluss die Annahme zulässt, dass steigende EE ein sinkendes technisches Risiko darstellen, da Atomkraftwerke vom Netz gehen können, bzw. er gar nicht ans Netz gehen.

Als Graphik hier verfügbar:

SDG 07_40 Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch nach Bereich

Und als Datensatz hier:
https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_07_40/default/table?lang=de

Bewertung

Der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch stiegt in der EU27 im Jahr 2020 auf 22 %. 2010 lag dieser noch bei 14 %. Für den Stromsektor stieg der Anteil auf 39 % (BMWi 2021: 55). Für Deutschland liegt der Anteil der EE am Endenergieverbrauch im Jahr 2020 bei 19 % (Eurostat: SDG_07_40), im Stromsektor sogar bei 45,3 % (BMWi 2021: 12). Diese Entwicklung ist sehr positiv, allerdings bedarf es weiterer Maßnahmen, um bis 2030 den Anteil der erneuerbaren Energien am globalen energiemix deutlich zu erhöhen (Destatis: Ziel 7 – Bezahlbare und saubere Energie). Deutschland will hier wieder, laut dem sogenannten Osterpaket (April 2022) eine Vorreiterrolle übernehmen, in dem das Bundeskabinett die Stromversorgung bereits bis 2035 nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien umgestellt haben will (BMWK 2022). Allerdings zeigt der Beschluss der europäischen Kommission, fossiles Gas und Atomkraft in die EU-Taxonomie aufzunehmen (fossile Energieträger als „nachhaltig“ einzustufen), das die EU in ihren Bemühungen um eine nachhaltige, auf erneuerbaren Energien basierende Versorgung der Bevölkerung Methoden des Greenwashings in Betracht zieht, um die gesetzten Ziele zu erreichen (NABU 2022; UBA 2022).

Gentechnisch veränderte Pflanzen

Seit 24 Jahren werden gentechnisch veränderte Pflanzen kommerziell angebaut. Im Jahr 2019 wurden dazu in 29 Ländern 190,4 Mio. ha Landfläche genutzt, dies ist im Vergleich zu 2018 (191,7 Mio. ha) ein leichter Rückgang um 0,7 %. Dabei wurden in den Top 5 Anbauländern (91 % des weltweiten Anbaus; USA, Brasilien, Argentinien, Kanada und Indien) zwischen 90-100 % der Pflanzen Soja, Mais und Raps in der gentechnisch veränderten Variante angebaut (ISAAA 2020). In Deutschland ist seit 2015 unverändert für 44 % der Befragten ein Verbot von gentechnisch veränderten Pflanzen in der Landwirtschaft sehr wichtig. Der Anteil für den ein Verbot überhaupt nicht wichtig ist, ist ebenfalls unverändert bei 2 %. Gleichzeitig stieg der Anteil derjenigen, die eine Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln im Handel befürworten von 69 % (2017) auf 79 % (2019). Darüber hinaus bezweifeln fast 90 %, dass die langfristigen Folgen absehbar sind und 80 % äußern ethische Bedenken gegen eine gentechnische Veränderung von Pflanzen und Tieren (BMU 2020). Diesem stimmen Jugendliche in einer Umfrage zu: 74 % lehnen es ab der „Natur ins Handwerk“ zu pfuschen (BMU 2022).

Auch hier kann im Umkehrschluss argumentiert werden, dass die Steigerung der für die ökologische Landwirtschaft genutzte Fläche eine Reduzierung der Flächen, die gentechnisch verändertes Saatgut verwenden, bedeutet. So stieg in der EU¬27 dir für ökologische Landwirtschaft genutzte Fläche stetig von 5,88 % (2012) der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf 9,07 % (2020) an. In Deutschland stieg dieser Anteil im gleichen Zeitraum von 5,76 % auf 9,59 % an (Eurostat: SDG_02_40).

Als Graphik hier verfügbar:

SDG 02_40 für ökologische Landwirtschaft genutzte Fläche

Und als Datensatz hier:
https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_02_40/default/table?lang=de

Bewertung

Diese Entwicklung fördert weder das Ziel, bis 2020 die genetische Vielfalt von Saatgut und Kulturpflanzen zu bewahren, noch die Zielsetzung, bis 2030 die Nachhaltigkeit der Systeme der Nahrungsmittelproduktion sicherzustellen und zur Erhaltung der Ökosysteme beizutragen (Destatis: Ziel 2 – Kein Hunger). Zudem korrespondiert die Gentechnik nicht mit den Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft (BLE 2022). Die Flächen, die für den gentechnisch veränderten Pflanzenanbau genutzt werden, stehen für die ökologische Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung.

Problemfeld (14)Problemfeld (1)
Links zu den nächsten Problemfeldern

Literatur

Berié, E.; Löchel, C.; Stein, G. von der; u. a.: (2010): Zahlen, Daten, Fakten. Der Fischer Weltalmanach 2011. Frankfurt am Main.

BMU – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2020): Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Naturbewusstsein 2019.

BMWi – Bundeministerium für Wirtschaft und Energie (2021): Nationale und internationale Entwicklung im Jahr 2020. Erneuerbare Energien in Zahlen. Berlin.

BMWK – Bundeministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): Überblickspapier Osterpaket.

Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2022): EU-Recht für den Ökolandbau verbietet Gentechnik! Gentechnik und Ökolandbau: Gesetzliche Grundlagen. URL: https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/umstellung/rechtliches/oekolandbau-und-gentechnik/ (gesehen am: 16.03.2022).

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2022): Jugend-Naturbewusstsein 2020.

Eurostat – statistisches Amt der Europäischen Union: SDG_02_40. SDG_02_40 – Für ökologische Landwirtschaft genutzte Fläche. URL: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_02_40/default/table?lang=de (gesehen am: 17.04.2022).

Eurostat – statistisches Amt der Europäischen Union: SDG_07_40. SDG_07_40 – Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch nach Bereich. URL: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_07_40/default/table?lang=de.

IAEA – International Atomic Energy Agency (2021): IAEA Releases 2019 Data on Nuclear Power Plants Operating Experience. URL: https://www.iaea.org/newscenter/news/iaea-releases-2019-data-on-nuclear-power-plants-operating-experience (gesehen am: 06.01.2021).

International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications (2020): Executive Summary. Brief 55: Global Status of Commercialized Biotech/GM Crops: 2019. URL: https://www.isaaa.org/resources/publications/briefs/55/executivesummary/default.asp (gesehen am: 09.12.2020).

Naturschutzbund Deutschland e.V. (2022): Atomkraft und fossiles Gas sind keine nachhaltige Geldanlage. Deal auf Kosten von Klima und Umwelt. URL: https://www.nabu.de/news/2022/01/30944.html (gesehen am: 16.03.2022).

UBA – Umweltbundesamt (2022): EU-Taxonomie: Atomkraft und Erdgas sind nicht nachhaltig. URL: https://www.umweltbundesamt.de/themen/eu-taxonomie-atomkraft-erdgas-sind-nicht-nachhaltig (gesehen am: 16.03.2022).